Es ist noch dunkel draußen.
Die Uhr auf dem Nachttisch zeigt 4:23 Uhr an.
Sven K. kann nicht mehr schlafen.
Seine Gedanken fahren Karussell.
Immer wieder geht es um die gleiche Frage:
Soll er den Job wechseln und in die neue Stadt ziehen?
Soll er dort eine für ihn attraktive Stelle antreten und mehr Geld verdienen, aber seine Freunde und Familie zurücklassen?
Und was ist, wenn der neue Job doch nicht so attraktiv ist, wie es scheint?
Sven K. kann sich nicht entscheiden.
Seit vielen Tagen quält er sich mit der Frage, was er machen soll. Und langsam rückt der Zeitpunkt näher, an dem er eine endgültige Entscheidung treffen muss.
Sven K. hat viel getan, um sich endlich entscheiden zu können:
Die inzwischen vierte Pro-und Contra-Liste liegt auf seinem Schreibtisch.
Er hat so viel mit seinen Freunden geredet, dass diese das Thema kaum noch hören können.
Und die Entscheidungstipps, die Google auswirft, haben ihn auch nicht wirklich weiter gebracht.
Er sieht sich einfach nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Und das führt dazu, dass er sich nachts schlaflos von der einen auf die andere Seite wälzt.
Was eine schwere Entscheidung ausmacht
Jeder Mensch trifft jeden Tag rund 20.000 Entscheidungen. Das haben Wissenschaftler errechnet. Die meisten Entscheidungen treffen wir aus Gewohnheit (Zum Beispiel: Was esse ich zum Frühstück? Oder: Mit welchem Verkehrsmittel fahre ich zu Arbeit?). Leicht fallen uns auch Entscheidungen, die ganz klar mehr Vorteile als Nachteile für uns haben.
Dann aber gibt es aber im Laufe des Lebens für die meisten von uns Entscheidungen, die uns wochenlang beschäftigen oder treffender gesagt: quälen und für die es scheinbar nicht gelingen will, eine gute Entscheidung zu treffen.
Warum ist das so?
Warum fällt es uns manchmal so schwer, eine Entscheidung zu treffen?
In zahlreichen Coachingprozessen hat sich für mich herauskristallisiert, dass es vor allem vier typische Gründe sind, warum es nicht gelingt, eine Entscheidung zu treffen.
Vier Gründe, warum es schwer fällt, eine Entscheidung zu treffen
Grund 1: Die Entscheidungssituation ist sehr komplex und unübersichtlich
Eine Entscheidung fällt dann besonders schwer, wenn es uns nicht gelingt, die Situation klar zu überblicken und die Vor- und Nachteile zu benennen.
Ja, manchmal sind Entscheidungssituationen so verwickelt, dass gar nicht klar ist, ob die Konsequenz der Entscheidung, von Vor- oder ein Nachteil wäre. Und je länger man über die Entscheidung nachdenkt, desto mehr Aspekte tauchen auf, die vielleicht auch noch beachtet werden sollten.
Kurz: Es gelingt nicht, einen Überblick über die Entscheidungssituation zu bekommen. Die Entscheidung hängt von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren ab, die schwer zu greifen sind.
Auch bei Sven K. tauchen immer wieder neue Gedanken und Aspekte auf. Zum Beispiel ist ihm das Tennisspielen mit seinen Freunden immer sehr wichtig gewesen und könnte für ihn ein Grund (neben anderen) sein, nicht in eine andere Stadt zu ziehen.
Allerdings: Seit vier Monate macht ihm eine Sehnenreizung zu schaffen und er weiß überhaupt nicht, wann er wieder Tennis spielen kann. Außerdem hat sich die Atmosphäre in seinem Verein durch einen neuen Vorstand verändert und es könnte ja auch sein, dass er am neuen Ort ebenfalls einen guten neuen Verein findet.
Ähnlich komplex ist die Situation mit seiner Partnerin. Klar ist: Jana würde nicht mit umziehen. Da die Beziehung aber derzeit in einer Krise ist, weiß Sven K. nicht, ob es sogar von Vorteil sein könnte, eine Wochenendbeziehung zu führen oder oder ob er sogar den Umzug als ersten Schritt zur Beendigung der Beziehung sehen soll.
Es ist klar, dass solche komplexen Zusammenhänge und Überlegungen sich nicht einfach in das Raster einer Pro- und Contra-Liste pressen lassen. Und solche Konstellationen führen dann dazu, dass sich Gedanken im Kreis drehen und eine Entscheidung in immer weitere Ferne rückt.
Grund 2: Die Folgen der Entscheidung sind nicht absehbar
Entscheidungen, die schwer fallen, sind häufig Entscheidungen, bei denen es um wichtige Lebensthemen geht. Gerade bei wichtigen Lebensthemen wüssten wir natürlich gerne, wie unser Leben weitergeht:
Wie sieht meine Zukunft aus, wenn ich Entscheidung A treffe?
Und wie verläuft meine Leben weiter, wenn ich mich für B entscheid?
Nun ist es aber so, dass kein Mensch in die Zukunft blicken kann. Ich kann viele Vermutungen anstellen und Pläne machen (und das ist auch wichtig, sich möglichst konkret auszumalen, was die jeweilige Entscheidung bedeuten könnte). Aber es gibt keine Sicherheit. Jede Entscheidung wird in einer ungewissen Situation getroffen. Jede Entscheidung ist immer auch eine Wette auf die Zukunft.
Jede Entscheidung ist immer auch eine Wette auf die Zukunft
Auch Sven K. weiß nicht, ob sich die Hoffnungen, die er mit der neuen Stelle verbindet, erfüllen werden:
Wie wird es sein, in der neuen Stadt zu leben?
Wie werden ihn die neuen Kolleg*innen aufnehmen?
Wie wird es sein, in einer neuen Wohnung und einem neuen Umfeld zu leben?
Er kann zwar viele Mutmaßungen anstellen, Einschätzungen vornehmen, versuchen, möglichst viele Informationen zu sammeln – und das ist auch wichtig. Aber er wird im Vorfeld nicht genau wissen, wie die Situation tatsächlich sein wird. Es bleibt immer ein Stück Unsicherheit.
Grund 3: Jede Entscheidung FÜR etwas bedeutet immer auch eine Entscheidung GEGEN etwas
Es fällt nicht schwer, eine Entscheidung zu treffen, wenn die eine Alternative deutlich attraktiver ist als die andere. Und die Entscheidung fällt auch dann nicht schwer, wenn wir eine Lösung finden, die alle Vorteile in sich vereint, so dass wir auf nichts verzichten müssen.
In der Tat: Im Rahmen eines Entscheidungscoachings gelingt es manchmal, eine gute Lösung oder Alternative zu finden, an die der/die Klient*in noch nicht gedacht hat. Eine Lösung, die die Nachteile minimiert und mehr Vorteile hat, als anfangs gedacht.
Aber in der Regel geht auch das nicht ganz ohne Verzicht.
Die Entscheidung für eine Seite bedeutet immer auch, dass ich auf die Vorteile der anderen Seite verzichten muss. Der Nachteil der Entscheidung ist, dass ich auf den Vorteil der anderen Seite verzichten muss.
Man spricht auch von den Opportunitätskosten, die man zahlen muss.
Durch eine Tür zu gehen, heißt auch immer, eine andere Tür zu schließen.
So ist es auch bei Sven K. – egal wie er sich entscheidet.
Entscheidet er sich für die Stelle in Flensburg, hat er den Nachteil, dass er auf sein vertrautes Umfeld verzichten muss. Entscheidet er sich gegen die Stelle, verzichtet er auf eine berufliche Herausforderung mit neuen finanziellen Möglichkeiten.
Es ist nur in Ausnahmefällen möglich, eine Alternative zu finden, für die wir nicht auf die Vorteile einer anderen Alternative verzichten müssen. Wenn wir uns zu sehr auf die Vorteile dieser anderen Alternative fixieren, auf die wir dann verzichten müssen, dann blockiert das die Entscheidungsfindung.
Grund 4: 100%-ige Sicherheit erwünscht
Gerade bei großen Entscheidungen ist es verständlich, dass wir zuvor gerne hundertprozentig sicher wären, bevor wir die Entscheidung treffen.
Aber: So verständlich diese Einstellung ist, so unwahrscheinlich ist es, dass wir eine schwere Entscheidung irgendwann mit einer hundertprozentigen Sicherheit werden treffen können. Wer sagt: „Ich kann die Entscheidung erst treffen, wenn der letzte Rest an Zweifeln ausgeräumt ist“, der legt die Latte sehr hoch. In den allermeisten Fällen so hoch, dass überhaupt keine Entscheidung mehr möglich ist.
Sehr viel hilfreicher ist es, sich zuzugestehen, dass eine hundertprozentige Sicherheit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht werden kann.
In meinen Coachings nutze ich häufig das Bild eines inneren Parlaments. In einem normalen Parlament braucht eine Regierung für Beschlüsse in der Regel eine Mehrheit von über 50%. Es gibt Regierungen, die lange und gut mit einer einzigen Stimme Mehrheit regieren. Für weitreichende Beschlüsse braucht es eine 2/3-Mehrheit. Vielen Klient*innen gelingt es, dieses Bild auf ihre Entscheidung zu übertragen: Wie groß muss die innere Mehrheit sein, um eine Entscheidung treffen zukönnen? 50% oder 75%? Wie kann akzeptiert werden, dass eine innere Opposition bleibt, die gerne eine andere Entscheidung hätte?
Es ist hilfreich für die Entscheidungsfindung, sich ein realistisches Ziel zu setzen. Das heißt, sich klar zu machen, dass es unwahrscheinlich ist, eine absolut sichere Entscheidung zu treffen und zu akzeptieren, dass immer etwas Ambivalenz bleiben wird. Das wäre zumindest eine gute Voraussetzung, um eine schwere Entscheidung mit einem guten Gefühl treffen zu können.
Wie Sie mit den vier Entscheidungsblockaden umgehen können, um trotzdem eine gute Entscheidung zu treffen
Ich nenne diese vier Gründe oft auch „die vier Entscheidungsblockaden“.
Denn diese vier Entscheidungsblockaden führen dazu, dass scheinbar keine Entscheidung möglich ist.
Dabei sind selten alle vier Entscheidungsblockaden am Werk. Je nach Entscheidungssituation und Persönlichkeit sind es in der Regel 1-2 Entscheidungsblockaden, die von besonderer Bedeutung sind.
Diese 1-2 Entscheidungsblockaden reichen aber oft, um schlaflos im Bett zu liegen und die Gedanken Karussell fahren zu lassen.
Es gibt leider kein schnelles Patentrezept, das ich Ihnen hier geben kann, um dieses Entscheidungsblockaden in Nullkommanichts aufzulösen. Unter den einzelnen Punkten habe ich angedeutet, wie wir jedoch mit den Entscheidungsblockaden arbeiten können. In einem Entscheidungscoaching schauen wir uns die jeweiligen Entscheidungsblockaden genau an und entwickeln passgenaue Strategien, um mit ihnen umzugehen und sie vielleicht sogar in das Gegenteil zu verwandeln, also in Entscheidungstreiber.
Wichtig ist in jedem Fall, sich der Gründe bewusst zu werden, die die Entscheidung blockieren. Das hilft oft dabei, die eigenen Entscheidungsschwierigkeiten richtig einzuordnen und nicht in Selbstabwertung („ich bin einfach nicht entscheidungsfähig“, „ich bin zu blöd, um eine Entscheidung zu treffen usw.“) zu verfallen. Das trifft ganz sicher nicht zu. Es liegt in der Natur von schweren Entscheidungen, dass solche Entscheidungsblockaden „eingebaut“ sind.
Wenn Sie eine individuelle Strategie für den Umgang mit Ihren ganz persönlichen Entscheidungsblockaden entwickeln wollen, dann nehmen Sie gerne Kontakt mit mir auf.
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